Das Wunder von Treviso by Susanne Falk
Autor:Susanne Falk [Falk, Susanne]
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Herausgeber: Rowohlt
veröffentlicht: 2011-11-05T17:23:13+00:00
15
Natürlich rätselte ganz Treviso, wer denn in der Silvesternacht in die Kirche Santa Maria degli Angeli eingedrungen war und das Heiligtum von Treviso entführt hatte. Zunächst glaubte man noch an einen bösen Scherz und hoffte, die Statue würde in den nächsten Tagen wieder auftauchen. Als nichts dergleichen geschah, stellte man Überlegungen an, ob es sich dabei etwa um einen terroristischen Akt gehandelt haben könne, aber wenn man ehrlich war, schien diese Theorie reichlich aus der Luft gegriffen, denn welcher Terrorist hätte schon bei Nacht die unbeleuchtete Straße nach Treviso gefunden?
Letztlich einigte man sich darauf, dass es nichts brachte, sich wilden Spekulationen hinzugeben, sondern dass man einfach abwarten müsse, ob sich die Entführer meldeten. Bis dahin übte man sich in kaum verhohlener Ungeduld. Nur Don Antonio, den das Verschwinden der Madonna doch am härtesten getroffen haben musste, strahlte eine erstaunliche Ruhe und Gelassenheit aus. Man schrieb dies seinem starken Glauben an das Gute im Menschen zu und nahm sich ein Beispiel an dem Dorfpfarrer, der nicht müde wurde zu predigen, dass diese schreckliche Geschichte sicher gut ausgehen werde, denn alles liege in Gottes Hand. Als Maria ihren Bruder so reden hörte, wunderte sie sich im Stillen und schüttete ihr Herz im Hinterzimmer von Luigis Laden aus, als der gerade Mittagspause machte.
«Habt ihr denn immer noch nicht miteinander geredet?», fragte Luigi.
«Nein, haben wir nicht. Und soll ich dir was sagen? Das ist auch nicht nötig. Ich weiß, dass er weiß, dass ich weiß, dass er die Madonna versteckt hat. Was ich nicht weiß, ist, warum er es getan hat.»
Im Grunde gab Luigi ihr recht, aber im Stillen fragte er sich dennoch, warum die Geschwister ein solches Versteckspiel miteinander trieben.
«Weißt du, was Antonio gestern noch zu mir gesagt hat?», plapperte Maria weiter. «Er hat gemeint: ‹Maria, dass die Madonna fort ist, löst eine Menge Probleme.› Und da frage ich dich doch, was hat er damit nun wieder gemeint? Und außerdem streicht dieser Salvatore Tarlo ständig ums Haus, und ich komme ums Verrecken nicht drauf, was die beiden im Schilde führen.»
«Und das ärgert dich», stellte Luigi amüsiert fest.
«Ja, das ärgert mich!» Maria stand auf, nahm ihre Handtasche, gab ihrem Liebsten noch einen lauten Kuss auf die Wange und machte sich dann auf den Weg nach Hause. Als sie über den Dorfplatz marschierte, kamen ihr Massimo und Giorgio entgegen. Massimo stützte den offensichtlich betrunkenen jungen Mann, indem er sich dessen linken Arm über die Schulter gelegt hatte und ihn nun mit sich schleifte. Dabei brüllte Giorgio unentwegt «TARJA, TARJA!», und Maria fragte sich, ob nicht inzwischen das ganze Dorf übergeschnappt sei.
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